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Hans Werner Kettenbach
Die Konkurrentin
Diogenes Verlag, Frankfurt am Main 2002


Wenn ein erfolgreicher deutscher Schriftsteller mit einer ausgewiesenen journalisti-schen Vergangenheit im Bundestagswahljahr 2002 einen politischen Roman mit dem beziehungsreichen Titel "Die Konkurrentin" veröffentlicht, dann sind Erwartungen oder jedenfalls Assoziationen mit Blick auf den bevorstehenden Wahltermin fast un-vermeidlich. Kettenbach behandelt allerdings weder das Duell um die Kanzlerschaft noch die innerparteiliche Konkurrenz um die Kandidatur zum wichtigsten politischen Amt der Republik, immerhin aber den innerparteilichen Vorwahlkampf um das höchste Amt einer ungenannten Großstadt. Die Konstellation ist vielversprechend: Lene Auweiler, eine vitale und sympathische Frau Mitte Fünfzig, seit Jahren ehren-amtlich in der Kommunalpolitik tätig, wenn auch noch immer Außenseiterin in der Politik, soll nach dem Wunsch vieler Parteifreunde bei der bevorstehenden Oberbür-germeisterwahl gegen den angeschlagenen Amtsinhaber antreten, dessen Stell-vertreterin sie gegenwärtig als Bürgermeisterin ist. Ihre Kandidatur müsste gegen den langjährigen Fraktionsvorsitzenden der eigenen Partei durchgesetzt werden, einen politikerfahrenen, durch mancherlei Affären umstrittenen Immobilienmakler, der den zweifelhaften Ruf hat, sein Leben lang durchgesetzt zu haben, was immer er sich vornahm. Die innerparteilichen Machtkämpfe, die damit verbunden sind, sind nur von mäßigem Interesse. Für den erfahrenen Zeitungsleser bestätigen sich die manchmal allzu klischeehaften Vermutungen über die ritualisierten Abläufe solcher Entscheidungsprozesse: persönliche Rivalitäten, Richtungskämpfe zwischen politi-schen Gruppierungen, gezielte Indiskretionen, gesteuerte Pressekampagnen, Spekulationen, Gerüchte.




Seinen Reiz bezieht der Roman weniger aus der Schilderung vermeintlicher Hinter-gründe der großen Politik und ihres manchmal kleinen Karos, sondern aus der sehr privaten Geschichte der Beziehung zwischen der "Konkurrentin" und ihrem Ehe-mann, einem niedergelassenen Arzt im Ruhestand, aus dessen Perspektive die Ge-schichte erzählt wird. Je mehr seine Frau an der schwierigen Kandidatur Interesse gewinnt, desto mehr ist er hin- und hergerissen zwischen dem Zweifel, ob ihr Erfolg wirklich wünschenswert sei, und dem anrührenden Bemühen, mögliche Widerstände aus dem Weg zu räumen. Diese sieht er insbesondere in der eigenen Familie. Vor allem der bewegte Lebenslauf der älteren Schwester seiner Frau, die als Flüchtlings-kind erlittene Traumata der Kriegs- und Nachkriegszeit nie ganz überwunden hat, gilt als dankbares Objekt für jeden Journalisten, der gestaltenden Einfluss auf die Kandi-datenauswahl nehmen will. Raimund Auweiler, in der politischen Szene unerfahren, fühlt sich zunehmend versucht, in die gefürchtete politische Schlammschlacht sei-nerseits mit unlauteren Mitteln einzugreifen und dem Patientengeheimnis unterlie-gende Erkenntnisse aus seiner ärztlichen Vergangenheit zu nutzen. Notwendiger-weise steht er fast hilflos Entwicklungen gegenüber, die er nicht selbst beeinflussen kann und über deren Abläufe, Ursachen und Motive er verzweifelt spekuliert. Dabei gelingt Kettenbach die berührende Charakterisierung eines alternden Mannes, der als liebenswürdiger Großvater reizender Enkel große Mühe hat, seiner wesentlich jüngeren Frau zu folgen. Die übrigen Personen des Romans haben nicht annähernd die gleiche Tiefenschärfe, die grandiose Fotos und große Literatur kennzeichnet.




Der Roman ist nur selten informativ, aber immer unterhaltsam. Am Ende wird Lene Auweiler Kandidatin der "Schwarzen" für die Oberbürgermeisterwahl. Ob sie die Wahl gewinnt, verrät der Autor nicht. Genau dies hätten wir gerne gewusst. Vor allem wegen der Bundestagswahl.


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