zurück

Dorothea Leonhart
Mozart
Diogenes Verlag, Zürich 2004


Weder Werkanalyse noch Heldenlegende bietet Dorothea Leonhart in ihrem Mozartbuch, sondern die nüchterne Beschreibung eines deprimierend glanzvoll gescheiterten Lebens. Was man immer schon von diesem Wunderkind, glanzvollen Virtuosen, bewunderten Künstler und begnadeten Komponisten wusste, setzt die Autorin gewissermaßen als bekannt voraus. Ihre Biografie macht deutlich, dass nicht nur Mozarts Werk, sondern auch sein Leben in jeder Beziehung außerordentlich war. Dabei wird neben der Bewunderung für ein künstlerisches Lebenswerk, das längst zum Kulturerbe der Menschheit gehört, die Verzweiflung über eine Lebensgeschichte nachvollziehbar, die entgegen vielen sorgfältig gepflegten Legenden weder an der Gleichgültigkeit noch am mangelnden Urteilsvermögen seiner Zeitgenossen im einem viel zu frühen Finale seinen empörenden Abschluss fand, sondern an eigenen schuldhaften Unzulänglichkeiten. Wolfgang Amadeus Mozart war nicht nur ein liebenswürdiger jugendlicher Flegel, sondern auch ein kaum richtig erwachsener Bruder Leichtfuß, dessen Umgang mit eigenem und fremdem Geld eine wiederum virtuose, außerordentliche Verbindung von Leichtsinn, Großspurigkeit, Wirklichkeitsverweigerung, Unzuverlässigkeit sowie erbetenen und erbettelten, regelmäßig enttäuschten Vertrauen darstellte. „Denn so wie der seltne Mensch früh schon in seiner Kunst Mann wurde, so blieb er hingegen fort in allen übrigen Verhältnisses beständig Kind. Er lernte nie sich selbst regieren“, urteilte sein erster Biograph Friedrich Schlichtegroll bereits zwei Jahre nach Mozarts Tod.




Dorothea Leonhart dokumentiert in ihrer Anfang der 90er Jahre erstmals erschienenen, für die Neuausgabe überarbeiteten Biografie mit Akribie die beispiellose Diskrepanz zwischen den enormen Einkünften des Jahrhundertgenies Mozart für Kompositionsaufträge, Konzerte und Partituren und seinen notorischen Finanzproblemen. Die Frage, wie viel Geld Mozart verdient hat, ist naturgemäß nur ungefähr zu beantworten. Immerhin gibt es Rechnungen, Briefe, Verträge, Konzertkarten und Subskriptionslisten, die mindestens Größenordnungen erkennen lassen. Nach Leonharts Berechnungen war es „ungeheuer viel, jährlich zwischen 10.000 und 20.000 Gulden, solange er seine zahlreichen Virtuosenkonzerte gab“, und auch nach seinen goldenen Jahren müsse Mozart jährlich mindestens 5.000 Gulden eingenommen haben ohne die vielen kostbaren Präsente, wie Uhren, Schmuck und Schatullen, die wohl meistens gleich zu Geld gemacht wurden. Nach Lebenshaltungskosten gerechnet, setzt die Autorin den Wert von einem Gulden zu Mozarts Zeiten mit 45 Euro von heute gleich, was für den regelmäßig über akuten Geldmangel klagenden Mozart ein umgerechnetes Jahreseinkommen zwischen 450.000 und 900.000 Euro bedeutet. Das Rätsel, wohin das viele Geld geflossen ist, bleibt auch in diesem Buch weitgehend ungelöst. Auch seine bekannte Passion für luxuriöse Kleidung, glanzvolle Feste, übertriebene Großzügigkeit gegenüber Freunden und der Familie seiner Frau sowie repräsentative und entsprechend teure Wohnungen erklären seine wachsende Verschuldung nicht, zumal er eigenen Verpflichtungen für Miete und aufgenommene Darlehen nur zögerlich oder gar nicht nachkommt. Schon eher erklärt es die zunehmende Entfremdung seiner zahlreichen Gönner und Gläubiger, deren bemerkenswerte Großzügigkeit ihm gegenüber er immer wieder enttäuscht und missbraucht, während seine eigenen Erwartungen an die Gunst und (materielle) Zuwendung seiner Bewunderer und Auftraggeber ebenso alle bekannten Maße sprengt wie seine musikalischen Begabungen.




Folgt man der Biografie Dorothea Leonharts, war das größte Verhängnis in Mozarts Karriere die von seinem Vater missbilligte Heirat mit Konstanze Weber. Die Sympathie der Autorin für den lebenslang für die Karriere seines Sohnes aufopferungsvoll arbeitenden und zahlenden Vater Leopold Mozart ist in jedem Kapitel des Buches ebenso offensichtlich wie die tiefe Verachtung für die Familie Weber im allgemeinen und Mozarts Frau Konstanze im besonderen. Beides scheint bei Beachtung der dokumentierten Fakten allzu gut begründet – auch unter Berücksichtigung der auffällig lückenhaften Briefe und anderer wichtiger Dokumente, die nach Mozarts Tod seiner Witwe überlassen blieben.




Dorothea Leonharts Mozart ist nicht das Buch zum Film „Amadeus“. Auch die tatsächliche, historisch weitgehend gesicherte Geschichte um sein Requien ist in Wirklichkeit viel schlimmer und erschütternder als die schaurig schöne Erfindung von der Vergiftung durch den vermeintlichen Rivalen Salieri. Ein ganz besonders Buch zum Mozartjahr 2006. Keine Nachtmusik




Januar 2005


Mehr über Norbert Lammert erfahren Sie hier...

impressum  
© 2001-2024 http://norbert-lammert.de