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Gedenkrede bei der Trauerandacht der Konrad-Adenauer-Stiftung für Bernhard Vogel
Berlin, 5. März 2025
Meine Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
lieber Pater Mertes,
es gibt Ereignisse, die absehbar sind, die mit Gewissheit eintreten, irgendwann – und wenn sie dann eintreten, gibt es große Betroffenheit. Das ist der fundamentale, ultimative Unterschied zwischen Erwartungen und Reaktionen, zwischen einer hohen Wahrscheinlichkeit und einer unabänderlichen Tatsache. So ist es mir gegangen und vermutlich auch manchen von Ihnen, als wir am Sonntagabend oder Montagfrüh die Nachricht vom Tod Bernhard Vogels erhalten haben.
Mit seinem Tod und mit seinem Leben verbindet sich die Erinnerung an eine besondere, unverwechselbare Biografie. Jedes Leben ist einzigartig, nicht wiederholbar. Aber für die politische Biographie von Bernhard Vogel gilt dies ganz offenkundig in einer ganz besonderen Weise – beginnend mit dem Umstand, dass sie als politische Biografie eigentlich auch gar nicht geplant war. Er selbst hat immer wieder plausibel erläutert, dass er sich eine akademische Laufbahn vorgestellt hatte, und seine frühe Wahl in den Stadtrat von Heidelberg 1963, wie die wiederum dann bald darauf erfolgende Kandidatur für den Deutschen Bundestag 1965 – übrigens auf Anregung und Initiative von Betriebsräten der BASF in Ludwigshafen –, war eigentlich eher als ein befristeter Erfahrungsausflug in die praktische Politik zum Gewinnen von Erfahrungen für seine akademischen, wissenschaftlichen Interessen gedacht. Aber wiederum nur zwei Jahre später wurde er dann von Helmut Kohl zum Kultusminister in seinem rheinland-pfälzischen Kabinett berufen, mit ganzen 34 Jahren. Ein Amt, das er fast zehn Jahre ausüben und maßgeblich prägen konnte, übrigens in einer Zeit der großen christdemokratischen Bildungspolitiker Hans Maier in Bayern, Wilhelm Hahn in Baden-Württemberg, etwas später Paul Mikat in Nordrhein-Westfalen.
Zu den Besonderheiten seiner Biografie gehört, dass er zwei Mal Mitglied von zwei verschiedenen Landtagen war, zwei Mal Landesvorsitzender von zwei unterschiedlichen Landesverbänden, zwei Mal Ministerpräsident in zwei unterschiedlichen Bundesländern, insgesamt 23 Jahre Regierungschef eines Bundeslandes – ein, wenn überhaupt, allenfalls in Zahlen wiederholbarer Rekord. Die Besonderheit, Ministerpräsident in zwei unterschiedlichen Bundesländern, einem westdeutschen und einem ostdeutschen zu sein, wird vermutlich einzigartig bleiben. Sieben Mal ist er als Ministerpräsident vereidigt worden.
Beinahe folgerichtig war er auch zwei Mal Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, zunächst von 1989 bis 1992, nach seiner denkwürdigen Verabschiedung in Rheinland-Pfalz, und dann wieder von 2001 bis 2009. Seitdem ist er uns als Ehrenvorsitzender verbunden geblieben. Mehr als 35 Jahre hat er die Arbeit dieser Stiftung begleitet und maßgeblich geprägt. Ganz offenkundig war ihm dieses Amt, diese Aufgabe jedenfalls nicht weniger wichtig als die hohen Staatsämter, die er bekleidet hat: Ein Ehrenamt, kein Hauptamt, das ihm erkennbar mindestens genauso wichtig war, wie andere Ämter, die er davor hatte wahrnehmen können.
Manche, die sein Wirken in der Stiftung begleitet haben, werden auch die eine oder die andere Station seiner Tätigkeit in eigener, lebhafter Erinnerung haben. Kaum jemand aber wird diese ganze Zeit überblicken können. Als er 1989, als Nachfolger von Bruno Heck, Vorsitzender der Stiftung wurde, war die Konrad-Adenauer-Stiftung ein aus plausiblen historischen Gründen gewachsenes, aber unsortiertes System von einer ganzen Reihe mehr oder weniger selbständiger Institute, damals immerhin sieben an der Zahl, die er in übersichtliche, plausible Arbeitsbereiche neu sortiert hat. Aus sieben Instituten wurden fünf Arbeitsbereiche, die bis heute den Kern unserer Organisationsstruktur ausmachen. Forschung und Beratung, später Politik und Beratung; Wissenschaftliche Dienste samt Archiv, zunächst mit Begabtenförderung, die dann folgerichtig bei wachsendem Volumen später zu einer eigenen Hauptabteilung ausgegliedert wurde; Internationale Zusammenarbeit; Politische Bildung; und ein Dienstleistungszentrum, um die immer notwendiger werdenden administrativen Rahmenbedingungen für die Leistungsfähigkeit in all diesen Bereichen sicherzustellen und an einer Stelle zu bündeln.
Bernhard Vogel hat Berlin als Standort etabliert, neben Sankt Augustin, und damals gleich zu Beginn seiner ersten Amtszeit, Gespräche mit dem Berliner Senat geführt, ob und wo eine Akademie errichtet werden könnte, das Gebäude, in dem wir uns heute befinden und dessen Realisierung dann naturgemäß viele Jahre benötigt hat, zwischen dem ersten Gedanken, der Genehmigung, der Planung, der Finanzierung und der Herstellung. Er hat dann sehr schnell nach der Wiedervereinigung auch für ein Berliner Büro gesorgt, an das vermutlich die wenigsten, die heute Morgen hier sind, eine persönliche Erinnerung haben: die Dienststelle am Molkenmarkt, von der aus dann auch weitere Expeditionen mit der Gründung von Bildungswerken in den neuen Ländern stattgefunden haben; in Rostock, in Leipzig, in Erfurt, in Potsdam. Strukturen, die ganz sicher richtig und notwendig waren und die dann wiederum nach einer gewissen Zeit auf ihre Zukunftstauglichkeit befragt werden mussten. Mit guten Gründen, die sich bis heute als zutreffend herausgestellt und bewährt haben, hat Bernhard Vogel dann das Konzept von Landeshauptstädten als Standorten unserer Bildungswerke durchgesetzt, was wiederum die unbequeme Konsequenz hatte, dass manche Standorte wiederum neu etabliert oder verlegt werden mussten, mit all den Rechtfertigungsbedürfnissen und Unbequemlichkeiten, die damit nun einmal verbunden sind.
Er hat sehr schnell Prioritäten auch in unserer Auslandsarbeit verändert und den neuen Möglichkeiten angepasst. Büroeröffnungen in den mittel- und osteuropäischen Ländern, in denen wir Jahrzehnte nicht vertreten sein konnten und in dem Augenblick, wo sich die Möglichkeit ergab, auch sofort vertreten waren. Die erste Eröffnung eines Büros fand in Warschau statt, am 10. November 1989, dem Tag nach dem denkwürdigen Fall der Berliner Mauer, auf einer Reise mit Helmut Kohl – der eigentlich zur Eröffnung des Warschauer Büros mitgereist war und dann, im Kontext der historischen Veränderungen, seinen Besuch unterbrechen musste und zum Unglauben seiner polnischen Gastgeber daraufhin hinwies, er käme aber ganz sicher wieder, was alle für gut gemeint, aber nicht sehr plausibel hielten und umso überraschter waren, als er tatsächlich zurückkam, um die legendäre Versöhnungsmesse mit dem damaligen gewählten polnischen Ministerpräsidenten Mazowiecki in Krakau zu feiern.
Das, was es dann an Veränderungen, an neuen Möglichkeiten in Mittel- und Osteuropa gegeben hat, hatte wiederum Folgen an anderer Stelle, denn auch unsere Möglichkeiten sind damals wie heute begrenzt gewesen, so dass die Eröffnung neuer Büros in Warschau, in Prag, in Sankt Petersburg und an manchen anderen Stellen auch zur vorläufigen Schließung von Büros in europäischen und außereuropäischen Ländern führte, was wiederum den meisten zwar im Allgemeinen plausibel vorkam, im konkreten aber dringend erklärungsbedürftig schien.
Schließlich gehört zu den nachhaltigen Wirkungen seiner Amtszeit als Vorsitzender die Etablierung eines Literaturpreises der Adenauer-Stiftung 1992, der inzwischen zu den hochangesehenen, renommierten Literaturpreisen der Republik gehört und eine Säule des kulturpolitischen Profils der Adenauer-Stiftung geworden ist.
Bernhard Vogel hat auf eine beispielhafte Weise politisches Engagement mit menschlicher Zuwendung verbunden. Er hatte die Gabe, Menschen für sich einzunehmen mit einem gewinnenden Lächeln, das selten spöttisch und nie überheblich war. Er hat sich der Mühe unterzogen, Sachverhalte zu erklären und notfalls ein zweites und drittes Mal zu erklären, und damit selbst denjenigen, die die Erklärung nicht rundum überzeugend finden wollten, mindestens den Eindruck vermittelt, ernst genommen zu werden in den Nachfragen und in den Zweifeln an dieser oder jener Entscheidung oder Entwicklung.
Fundament seines Wirkens diesseits und jenseits politischer Ämter war eine feste Verankerung in seinem christlichen Glauben. Für ihn haben die Katholische Soziallehre, das christliche Menschenbild, die Unantastbarkeit der Menschenwürde und die darauf begründeten Grundwerte unserer Verfassung auch immer das Raster seines Handelns ausgemacht. Er hatte die Begabung, Zuversicht mit Realismus zu verbinden, Politik nicht nur für ein Handwerk zu halten, aber zu wissen, dass es ohne handwerkliche Voraussetzungen nicht erfolgreich zu betreiben ist. Seine klaren Positionen und die gleichzeitig jederzeit erkennbare Achtung vor dem jeweiligen Gegenüber, dem Respekt vor dem politischen Wettbewerber und Konkurrenten, haben einen beispielhaften Beitrag zu einer demokratischen Streitkultur in unserem Land geleistet. Darüber hinaus ist sein nachhaltiger Beitrag zum Zusammenwachsen unseres wiedervereinigten Landes zu recht längst legendär und ist ja auch in diesen Tagen in den Medien in einer bemerkenswerten Weise genau so gewürdigt worden.
In einem seiner späten, aber immer noch regelmäßigen Interviews wurde er nach der wiederum doppelten Prominenz befragt, die seine Biografie in Verbindung mit der seines Bruders so besonders macht: zwei Brüder in zwei verschiedenen Parteien, jeweils hoch prominenten Funktionen, über Jahrzehnte nebeneinander tätig. Er hat dann, auf diesen Zusammenhang angesprochen, gesagt, „wir waren nicht die Einzigen und werden wahrscheinlich irgendwann in Vergessenheit geraten. Das ist ein realistischer Gedanke. Wir sollten uns nicht zu wichtig nehmen.“
Bernhard Vogel war wichtig und für die Stiftung bleibt er wichtig. Diese Stiftung wäre anders als sie ist, wenn es ihn nicht gegeben hätte – und genau so werden wir ihnen in Erinnerung behalten.
Ich danke Ihnen allen, dass Sie gekommen sind und damit auch Ihre persönliche Verbundenheit zum Ausdruck bringen, und ich danke Ihnen, lieber Pater Mertes, dass Sie einmal mehr an einem solchen Tag, nicht nur, aber gerne auch als Mitglied des Kuratoriums der Adenauer-Stiftung, dieses besondere Gedenken mit uns teilen.
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