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Der Staat, die Gesellschaft und ihre Museen - Aufträge und Verpflichtungen
Rede anläßlich der Tagung der Kulturstiftung der Länder und des deutschen Museumsbundes am 4. Juni 2007 in Frankfurt am Main

Sehr geehrter Herr Stadtrat,
sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus den politischen Vertretungskörperschaften,
Frau Generalsekretärin,
liebe Frau Pfeiffer-Poensgen,
Herr Dr. Eissenhauer,
meine Damen und Herren,

Heute auf den Tag genau vor 125 Jahren, am 4. Juni 1882, ist Karl Valentin geboren. Wir verdanken ihm viele kluge Beobachtungen auch und gerade im Umfeld unseres heutigen Themas und manche ebenso witzigen wie bissigen Bemerkungen, die man gar nicht ernst genug nehmen kann.

Seine lakonische Feststellung, „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“, werden viele von Ihnen inzwischen für die Kurzfassung der eigenen Biografie halten, und seine aufregend beruhigende Bemerkung, „man soll die Dinge nicht so tragisch nehmen, wie sie wirklich sind“, taugt durchaus als Motto der meisten kulturpolitischen Tagungen.

Ich habe die Einladung, an dieser kulturpolitischen Tagung mit einem Eröffnungsvortrag teilzunehmen, zunächst wahrheitsgemäß unter Hinweis auf nicht auflösbare Terminkollisionen abgewehrt, bin dann dem Charme von Frau Pfeiffer-Poensgen erlegen und der unwiderstehlichen Versuchung, meinetwegen den Ablauf des gesamten ersten Tages dieser Tagung umzubauen. Daraus ist dann am Ende die Ankündigung einer dieser berüchtigten Festvorträge geworden, an denen nach meiner Erfahrung die Redner oft mehr Freude haben als die Teilnehmer. Eigentlich hätte uns schon zum Zeitpunkt unserer damaligen kurzen Verhandlung, Frau Pfeiffer-Poensgen, bewusst sein müssen, dass bei einer Tagung Anfang Juni bei sommerlichen Wetter, spät nachmittags, das Bedürfnis nach Sonne und Äppelwoi allemal ausgeprägter ist als nach einem weiteren Vortrag. Und ich hätte damals eigentlich schon wissen müssen, was mir am Wochenende bei der erstmaligen Befassung mit dem nun unmittelbar bevorstehenden Termin blitzartig klar wurde: dass ich Ihnen zu diesem Thema eigentlich nichts anbieten kann, was Sie nicht ohnehin längst kennen und im Zweifelsfall noch besser wissen als ich. Mit anderen Worten: dürfen habe ich mich wohl getraut, aber wollen hätte ich besser nicht gesollt, um noch mal Karl Valentin zu paraphrasieren.

Dennoch will ich mich bemühen, mich jedenfalls in der Nähe des angekündigten Themas aufzuhalten. Ich werde nicht nur, aber auch über Museen reden, ihre Aufträge und Verpflichtungen, soweit ich dazu eine hinreichend diskussionswürdige und bedürftige Vorstellungen habe, will Sie und Ihre Aufträge aber gerne in den größeren Zusammenhang staatlicher Verantwortung für die Kulturpolitik rücken und der Gesellschaft, in der diese Bemühungen stattfinden. Und deswegen will ich beginnen mit ein paar Bemerkungen, einigen Daten zum Verhältnis von Kultur und Ökonomie und will dann, nach einigen Klarstellungen zum Verhältnis von Kultur, Staat und Bürgergesellschaft eine handvoll Anmerkungen zur Situation der Museen machen, ohne jeden Anspruch auf Originalität und schon gar nicht mit dem Anspruch auf Vollständigkeit.

Das Verhältnis von Kultur und Ökonomie ist – wie Sie mir sofort abnehmen werden – außerordentlich kompliziert. Die Größenordnungen wie die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen diesen Bereichen werden nach meinem Eindruck nach wie vor regelmäßig unterschätzt. Der Arbeitskreis Kulturstatistik, dem wir wichtige Analysen über Zusammenhänge im nationalen wie internationalen Maßstab über Kulturausgaben und öffentliche wie private Strukturen der Kulturfinanzierung verdanken, zählt zur Kulturwirtschaft die Verlage, die Filmwirtschaft, Rundfunk und Fernsehen, Buch- und Zeitschriftenhandel, die darstellenden und bildenden Künste, die Literatur, die Musik, die Museen, die Kunstausstellungen, die Architektur und die Designwirtschaft. Nach dieser Definition reden wir bei der Kulturwirtschaft in Deutschland über eine Branche mit einer jährlichen Bruttowertschöpfung von insgesamt etwa 36 Mrd. Euro. Das entspricht einem Anteil von etwa 1,6 Prozent am Bruttoinlandsprodukt.

Das muss einen nicht sofort und für den Rest des Lebens zutiefst erschüttern, aber mit dieser Größenordnung liegt die Kulturwirtschaft mit Blick auf die eigene Wertschöpfung immerhin ziemlich genau zwischen der chemischen Industrie und der Energiewirtschaft. Dass deren eigener Anteil an der Bruttowertschöpfung in Deutschland kleiner ist als der Anteil der Kulturwirtschaft, muss man nicht für Allgemeingut halten. Über diesen rein statistischen Befund hinaus ist von jedenfalls hinreichender Bedeutung, dass wir es hier mit einem der dynamischsten Wirtschaftssektoren unserer Volkswirtschaft überhaupt zu tun haben. Mit anderen Worten, man wird mit Blick auf die ökonomische Entwicklung unserer Volkswirtschaft in den letzten zehn, zwanzig Jahren nur wenige andere Sektoren finden, die sich mit Blick sowohl auf Wertschöpfung wie auf Beschäftigung ähnlich positiv entwickelt haben wie der Bereich der Kulturwirtschaft.

In diesem vorhin abgegrenzten Kultursektor existieren mit 815.000 Arbeitsplätzen mehr Beschäftigungsverhältnisse als im Kreditgewerbe und fast so viele wie im Fahrzeugbereich. Wir reden also, meine Damen und Herren, keineswegs über eine liebenswürdige Nische, über eine Liebhaberei, die man teilen kann oder nicht, wenngleich richtig bleibt, dass man die Begeisterung für diesen gesamten Bereich oder einzelne dieser Bereiche keineswegs teilen muss. Unter rein ökonomischen Gesichtspunkten reden wir über ein der bedeutenden Sektoren unserer Volkswirtschaft. Das ist lange übersehen und lange wohl auch vernachlässigt worden. Inzwischen hat übrigens auch die Europäische Gemeinschaft diesen Bereich und seine Wachstumspotentiale entdeckt. Vor wenigen Tagen konnte man auf den Wirtschaftsseiten der großen deutschen Zeitungen lesen, dass auch die Europäische Union diesen Bereich der Kultur und Kreativwirtschaft für eine besonders wichtige Wachstumsbranche hält. Ihr Umsatz in den Grenzen der Gemeinschaft beträgt inzwischen 654 Mrd. Euro. Das ist mehr als doppelt so hoch wie der Umsatz der Automobilindustrie innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Damit beschäftigt der Kultur- und Kreativsektor in Europa etwa 5 Millionen Erwerbstätige, 3 Prozent der gesamten erwerbsfähigen Bevölkerung. Und für diejenigen, die an solchen Zahlen und vor allen Dingen an solchen Relationen Freude haben, sie jedenfalls nicht für von vornherein belanglos halten, will ich noch die Information hinzufügen, dass wir in Deutschland gemessen am Bruttoinlandsprodukt mit unserem Anteil der Kultur- und Kreativwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt unter dem europäischen Durchschnitt liegen, wenngleich wir in der absoluten Größe des Umsatzes und der Beschäftigung naheliegenderweise zusammen mit England die Spitzengruppe innerhalb Europas bilden.

Bei diesen gerade genannten Größenordnungen und Zahlen überrascht eher die lange Vernachlässigung der wechselseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten. Es kann jedenfalls kaum noch überraschen, dass auch die Volkswirtschaftslehre dieses Thema und den Zusammenhang des einen mit dem anderen zunehmend entdeckt. „Kultur und Ökonomie“ ist eines der boomenden Forschungsgebiete dieser Disziplin geworden. Der Nobelpreisträger für Wirtschaftwissenschaft Edmund Phelps forscht selber über dieses Thema, er hat erst kürzlich in einem Interview seine Überzeugung zu Protokoll gegeben: „Die Kultur eines Landes ist mitentscheidend für seine wirtschaftliche Performance.“ Diese Einschätzung lässt sich übrigens in vielfältiger Weise mit und ohne konkrete statistische Belege auf kommunaler Ebene, in regionalem Maßstab, auf Landes- wie auf Bundesebene belegen.

Auffällig ist allerdings, dass sich in jüngerer Zeit immer mehr Städte und auch immer mehr Bundesländer an die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesen Zusammenhängen gemacht haben und dabei nicht zuletzt die Frage untersuchen, ob überhaupt und wenn ja, in welchem Umfang sich Ausgaben für Kunst und Kultur gesamtwirtschaftlich rechnen.

Allein der Umstand, dass sich solche kulturwissenschaftlichen Studien in den letzten Jahren auffällig mehren, vermittelt für jeden nüchternen Kulturpolitiker zwei Botschaften. Die erste Botschaft ist, die Ausgaben öffentlicher Hände für Kunst und Kultur geraten zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Keineswegs von vornherein wird für selbstverständlich gehalten, dass überhaupt und schon gar in bestimmter Höhe bestimmte Einrichtungen und schon gar immer mehr davon aus öffentlichen Mitteln dotiert werden. Die Frage wird immer regelmäßiger gestellt, ob überhaupt und in welchem Umfang sich das denn eigentlich rechne.

Die zweite Botschaft: ausnahmslos alle Studien, die dazu bislang erstellt worden sind, kommen zu dem überstimmenden Ergebnis, dass die Investitionen in diesem Bereich sich gesamtwirtschaftlich glänzend rentieren. Und dass im übrigen mit einer überraschenden Präzision der ökonomischen Nutzen der jeweiligen Kulturausgaben in genau den Kommunen bzw. in den Regionen anfällt, in denen die Ausgaben getätigt worden sind. Das wird nicht nur Frau Pfeiffer-Poensgen und Herrn Eisenhauer gefallen, dass sollte auch viele Wirtschafts- und Finanzminister beruhigen und manche Kämmerer der Kommunen auch: Kultur rechnet sich.

Es besteht auch und gerade aus der Sicht der Wirtschaftsressorts kein Anlass zu Misstrauen, wenn die Kulturausgaben hoch sind oder gar steigen, denn es gibt die begründete Aussicht, dass das, was in diesem Bereich investiert wird, sich zumindest ähnlich eindrucksvoll rentiert, wie das von Investitionen in anderen Bereichen erhofft und auch keineswegs immer nachgewiesen wird. Aber ich will ausdrücklich darauf hinweisen, dass Kulturförderung mehr sein muss als die Verlängerung der Wirtschaftsförderung mit anderen Mitteln. Dass sie nicht nur auch, sondern im Kern anderen Kriterien folgen muss, als das für ökonomische Kontexte ansonsten nicht nur üblich, sondern auch notwendig ist.

Meine Damen und Herren, für die Ökonomie wie die Kultur gilt in ähnlicher Weise, dass der Staat weder eine allgemeine noch eine umfassende Zuständigkeit für sie hat, aber gleichwohl beachtlichen Einfluss auf deren jeweilige Entwicklungsbedingungen. Die kürzeste und zugleich am ehesten richtige Antwort auf die Frage: Wer trägt die Verantwortung für die Kultur?, müsste lauten: Wir, wir alle. Die Bürgerinnen und Bürger, die Kulturschaffenden wie die Nutzer, die Autoren wie die Verlage, die Künstler wie die Museen und Galerien, die Vereine und Verbände, die Kirchen und die Medien, die Parteien und der Staat. Der Staat nicht zuerst, aber auch ganz gewiss nicht zuletzt. Er hat eine unverzichtbare, auch nicht kompensierbare, aber ganz sicher keine exklusive Verantwortung für die Kultur dieses Landes und dieser Gesellschaft.

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Der Satz wird Ihnen bekannt vorkommen, Sie finden ihn im Artikel 20 unseres Grundgesetzes. Dieses Grundgesetz verpflichtet diesen deutschen Staat ausdrücklich auf die Prinzipien der Demokratie des Sozialstaates, des Bundesstaates und des Rechtsstaates. Von Kulturstaat ist in diesem Zusammenhang keine Rede. Tatsächlich hat die politische Praxis in genau diesem Zusammenhang die Verfassungstheorie längst eingeholt. Natürlich hat jeder Staat eine kulturpolitische Verantwortung. Wie weit oder eng auch immer der Staat seine Aufgaben versteht, ob er sie ausweitet oder aus welchen Gründen auch immer er zurückführen möchte oder in Einzelfällen vielleicht auch zurückführen muss: Er ist für die Lebensbedingungen seiner Bürger verantwortlich, jedenfalls mitverantwortlich.

Dass dazu innere und äußere Sicherheit, Polizei und Armee, Krankenhäuser und Kasernen, Straße und Bäder, nicht aber Sprache, Geschichte, Tradition, Musik und bildende Künste, also die Kultur eines Landes gehören sollen, ist eine absurde Vorstellung.

Zu den staatlichen Aufgaben zählt natürlich auch und gerade die Verantwortung für Kunst und Kultur. Dieses Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland als Kulturstaat hat nach manchen rhetorischen Bekräftigungen auch übrigens in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Einigungsvertrag, also im Kontext der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschland nun auch ausdrücklich einen verfassungsrelevanten Niederschlag gefunden.

Meine Damen und Herren, es gibt gewiss viele große Kulturnationen. Aber es gibt nur wenige Staaten, die für Kunst und Kultur absolut und relativ so viele öffentliche Mittel einsetzen wie Bund, Länder und Gemeinden in Deutschland. Über 90 Prozent der Kulturausgaben in Deutschland werden aus öffentlichen, aus staatlichen Haushalten aufgebracht. Deutlich weniger als 10 Prozent von Privatpersonen, gemeinnützigen Organisationen, Stiftungen und Sponsoren, deren Anteil an der Gesamtfinanzierung in der Öffentlichkeit inzwischen maßlos überschätzt wird, so wichtig und willkommen er auch sicher ist. Diese Relation von ziemlich genau 90 v. H. öffentlicher und 10 v. H. privater bürgerschaftlicher Verantwortung für die Finanzierungserfordernisse eines Kulturstaates versteht sich keineswegs von selbst. Es gibt andere bedeutende Länder, in denen die Relationen völlig anders sind. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel sind sie fast präzise umgekehrt. 10 Prozent sind öffentlich und 90 Prozent bürgerschaftlich organisiert und das heißt auch finanziert. Dahinter steht ein grundlegend anderes Verständnis von der Aufgabenstellung der Kunst- und Kulturförderung. Insofern ist die in der Überschrift angekündigte Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft mehr als eine vielleicht auf den ersten Blick so scheinende Banalität, sondern es geht hier bei genauerem Hinsehen um höchst unterschiedlich vermessene Verantwortungs- und Zuständigkeitsbereiche der Politik gegenüber der Bürgergesellschaft. Dort, in den Vereinigten Staaten, wird Kunst- und Kulturförderung natürlich als private, in Deutschland als öffentliche Aufgabe verstanden. Gott sei Dank, wie ich hinzufüge, aber überhaupt nur verständlich und erklärbar vor dem Hintergrund einer jahrhundertealten deutschen Geschichte, in der ein Föderalismus, der damals noch nicht so hieß, auch im konkurrierenden Repräsentationsaufwand rivalisierender Fürstenhäuser, die Vielzahl, die Breite, die Verteilung der Kunst- und Kultureinrichtungen in Deutschland möglich machte, die wir im besten Wortsinn geerbt haben und manchmal etwas vorschnell für selbstverständlich halten.

Die vorgetragenen Größenordnungen sind wie Größenordnungen immer natürlich relativ. Bund, Länder und Gemeinden geben für die Kunst- und Kulturförderung in Deutschland gut 8 Mrd. Euro im Jahr. Dazu kommen rund 1 Mrd. Euro des Bundes für die auswärtige Kulturpolitik.

Für die Museen, für die öffentlichen Sammlungen und Ausstellungen geben die öffentlichen Hände jährlich etwa 1,3 Mrd. Euro aus, das ist nachrichtlich ziemlich präzise der Betrag, den die gleichen öffentlichen Hände für Biersteuer und Schaumweinsteuer einnehmen. Übrigens für die Ästheten unter Ihnen, der mit Abstand größere Teil wird über die Biersteuer aufgenommen – was nun auch bei der Ausgestaltung von Museumsfesten kein völlig belangloser Aspekt zu sein scheint, wenn ich mir diese praktische Empfehlung erlauben kann.

Wenn wir jedenfalls diese 8 Mrd., die die öffentlichen Hände für Kunst- und Kulturförderung jährlich zur Verfügung stellen, auf die Einwohner dieses Landes umlegen, dann ergibt sich der durchaus überschaubare Betrag von ziemlich genau 100 Euro, die pro Kopf und Jahr aus öffentlichen Kassen für Kunst- und Kulturförderung verausgabt werden. Das macht relativ zu den öffentlichen Ausgaben im Ganzen übersichtliche 1,75 Prozent der staatlichen Etats aus. Und der Anteil der öffentlichen Ausgaben für Kunst und Kultur an unserem Bruttoinlandsprodukt beträgt nicht mehr als 0,4 Prozent. Dies ist viel mehr als fast überall sonst auf der Welt, aber eine Größenordnung, bei der man auch unter Würdigung der schwierigen Aufgabe realexistierender Kämmerer und Finanzminister nicht sofort ins Schwärmen kommen muss. Die Konsolidierung öffentlicher Haushalte kann über Kulturetats nicht erfolgen. Dafür ist ihr Anteil nämlich zu klein und die Bedeutung zu groß.

Ich sage das als jemand, der wie Frau Pfeiffer-Poensgen liebenswürdigerweise angedeutet hat, bekennender Kulturpolitiker geblieben ist und deswegen auch und gerade in Veranstaltungen wie dieser natürlich immer wieder von der Selbstverständlichkeit der Rechtfertigung öffentlicher Ausgaben redet, die natürlich insbesondere für ambitiöse Projekte gelten müssen. Wer für welches Projekt auch immer öffentliche Gelder reklamiert, muss sich der Rechenschaftspflicht stellen, die sich aus der Inanspruchnahme von Mitteln der Gemeinschaft ergeben. Das finde ich kann nicht ernsthaft streitbefangen sein.

Allerdings muss man auch und gerade bei kulturpolitischen Engagements sich vor dieser notwendigen Rechtfertigung nicht übertrieben bange machen, weil sowohl von den Größenordnungen wie von den Relationen her doch in der Regel plausible Begründungen für plausible Engagements vorgetragen werden können.

Vor ein paar Wochen wurde in Berlin nach jahrelangen sowohl konzeptionell wie finanziell aufwändigen Restaurierungen das Bode-Museum wieder der Öffentlichkeit vorgestellt, und in diesem Zusammenhang gab es die fast zwangsläufige und natürlich zulässige Frage, ob es denn wirklich zu rechtfertigen sei, das für die Restaurierung eines vorhandenen Gebäudes 160 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln in die Hand genommen werden. Und noch einmal 10 Millionen, um eine allerdings weltweit beispiellose Sammlung in diesen Räumen dann angemessen präsentieren zu können.

Ich habe in meinem Grußwort damals darauf hingewiesen, dass für die Restaurierung eines anderen Berliner Gebäudes, das für den geforderten Zweck damals auch nicht in einer hinreichenden Verfassung war, nämlich für die Restaurierung des Berliner Olympiastadions 220 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln in Anspruch genommen worden sind. Und es ist ja wahr, wenn die Museumsinsel in Berlin irgendwann einmal ganz fertig gestellt sein wird, dann wird das nach heutigen Kostenschätzungen fast ausschließlich dem Bund etwa 1,5 Mrd. Euro gekostet haben. Das ist eine Menge Geld, mehr als alle Deutschen Museen pro Jahr zusammen aus öffentlichen Kassen erhalten. Gleichzeitig wird allerdings in Berlin anstelle von drei vorhandenen Flughäfen ein neuer gebaut. Der wird, wenn er einmal fertig wird, 2,5 Mrd. Euro aus öffentlichen Kassen in Anspruch genommen haben. Soviel zum Thema Relativierung.

Meine Damen und Herren, ich trage diese Zahlen nicht vor, weil ich sie gegeneinander ausspielen will. Das eine wie das andere hat seine Bedeutung. Aber auf eines lege ich schon allergrößten Wert. Investitionen in die kulturelle Infrastruktur einer Gesellschaft sind nicht weniger wichtig als Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur der gleichen Gesellschaft. Die Kulturausgaben der öffentlichen Hände sagen im übrigen zwar etwas über den Stellenwert, den die Förderung von Kunst und Kultur in der Politik hat, sie geben aber noch keine hinreichende Auskunft darüber, in welchem Ausmaß der Staat seiner Verantwortung für die Kultur nachkommt. Dazu will ich ein paar Hinweise geben, um deutlich zu machen, dass es neben manchen bemerkenswerten Errungenschaften des deutschen Kulturstaates auch beachtliche Fehlentwicklungen gibt. Und dass wir durchaus Anlass haben, kritisch darüber nachzudenken, ob hinter und unter der nach wie vor glänzenden Fassade nicht zunehmend die Fundamente zu bröckeln begonnen haben.

Der erste kritische Hinweis den ich geben möchte betrifft die zuletzt im Zusammenhang mit der Föderalismusreform wieder aufgelegte und wieder aufgelebte Debatte über die sogenannte Kulturhoheit, also die Zuständigkeit staatlicher Hände für die Förderung von Kunst und Kultur. Sicherlich gibt es den oder anderen im Auditorium, der notfalls zu meinen Gunsten bezeugen kann, dass ich bekennender Föderalist bin. Ich bin von den Vorzügen einer föderalistischen Staatsordnung, wenn schon nicht im allgemeinen, so doch ganz sicher mit Blick auf die Kunst- und Kulturförderung eines Landes restlos überzeugt. Und zwar sowohl unter historischer wie unter aktueller Perspektive. Es gäbe weder die Dichte noch die Vitalität, noch die Qualität, noch die Attraktivität dieser Kulturlandschaft in Deutschland, um die uns beinahe der Rest der Welt beneidet, wenn wir nicht nach der früheren Rivalität der Fürstenhäuser einen meist gesunden Wettbewerb auch der Länder untereinander hätten, was die jeweils eigenen Museen und Theater und Opernhäuser und Orchester, Bibliotheken, Musikschulen und andere Kultureinrichtungen angeht.

Gerade weil das so ist, kommt mir der immer wieder auflebende Streit um eine vermeintliche Alleinzuständigkeit doppelt unsinnig und überflüssig vor, zumal sich das, was wir gerade im Kontext der Föderalismusreform ja nicht nur diskutiert, sondern auch beschlossen haben,durchaus in operativen Fragen der Zuweisung oder Duldung von Bundesaktivitäten bei der Förderung von Kunst und Kultur niederschlägt. Ich halte den immer wieder neu aufflammenden Streit zwischen Bund und Ländern um die sogenannte Kulturhoheit gleich für doppelt abwegig. Erstens wird niemand vernünftigerweise den Kulturstaat Deutschland im allgemeinen bekräftigen und gleichzeitig die Mitverantwortung des Bundes für diesen Kulturstaat bestreiten wollen. Und zweitens lässt sich das Verhältnis des Staates zu Kunst und Kultur kaum missverständlicher ausdrücken als mit diesem unsäglichen Begriff der Kulturhoheit. Ein Staat, der Kunst und Kultur mit hoheitlicher Gebärde begegnet, ist sicher kein Kulturstaat.

Die zweite kritische Bemerkung betrifft das konkrete Verhältnis von Kulturstaat und Bürgergesellschaft. Der Kulturstaat kann seinen Ansprüchen nur genügen, wenn er von einer engagierten Bürgergesellschaft getragen und getrieben wird. Dies gilt sowohl für die innere Legitimation und Mehrheitsfähigkeit steuerfinanzierter Kulturausgaben, die wie jede andere öffentliche Ausgabe auch rechenschaftspflichtig sind, als auch und erst recht für deren notwendige Ergänzung durch privatwirtschaftliche und gemeinnützige Aufwendungen. Dabei erwarten Stifter und Spender regelmäßig und mit vollem Recht, dass die von Ihnen zur Verfügung gestellten Mittel nicht statt öffentlicher Ausgaben sondern zusätzlich zur Verfügung gestellt werden, um Programme und Projekte möglich zu machen, die das vorhandene Angebot ergänzen sollen.

Die in den letzten Jahren – ich formuliere das jetzt einmal freundlich vorsichtig – gelegentlich zu beobachtende Kürzung von Kulturetats im allgemeinen oder für bestimmte Einrichtungen im Ausmaß der erzielten oder erwarteten Sponsorenbeiträge verstümmelt nicht nur die jeweiligen öffentlichen Kultureinrichtungen, sie ruiniert auch verlässlich das erhoffte private bürgerschaftliche Engagement. Ich finde es im übrigen durchaus ermutigend, welch erstaunlich schnelle Wirkungen das vor wenigen Jahren reformierte Stiftungssteuerrecht in Deutschland ausgelöst hat, von denen nun Jahr für Jahr in einem beachtlichen Umfang Gebrauch gemacht wird. Zurzeit gibt es in Deutschland über 14.000 solcher gemeinnütziger Stiftungen, die über ein Kapital von jetzt weit mehr als 30 Mrd. Euro insgesamt verfügen, deren Erträge für gemeinnützige Zwecke verwendet werden. Ein beachtlicher Teil davon für die Förderung von Kunst und Kultur. Und jedes Jahr, das ist besonders erfreulich, kommen im Durchschnitt 800 – 900 Stiftungen, private gemeinnützige Stiftungen dazu.

Ich bin – wie Frau Pfeiffer-Poensgen vorgetragen hat – inzwischen relativ lange dabei, was die Wahrnehmung politischer Mandate angeht und habe deswegen einen vergleichsweise guten Überblick, was die unmittelbare Nutzung verabschiedeter gesetzlicher Regelungen betrifft. Jedenfalls gibt es nach meiner Erinnerung nicht viele Beispiele, bei denen eine bestimmte politische Initiative erstens überhaupt und zweitens so schnell und dann in diesem Ausmaß tatsächlich die erhofften Veränderungen erzeugt hat, wie das für die Änderung des Stiftungssteuerrechts nachweisbar ist. Und gerade zu hingerissen bin darüber, dass der damalige nordrhein-westfälische Finanzminister, der bei den streitigen Verhandlungen im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat, nachdem die vom Bundestag beschlossenen Veränderungen des Stiftungssteuerrechts am Widerstand des Bundesrats gescheitert waren, bis zuletzt, die vermeintliche Maßlosigkeit dieser damaligen Veränderung bekämpft hat, nun als heute amtierender Bundesfinanzminister in einem Akt tätiger Wiedergutmachung seiner damaligen Fehleinschätzung eine weitere Novellierung dieses Gesetzes angekündigt hat, die mit noch großzügigen Regelungen für gemeinnützige Stiftungen deren Spielräume erweitern sollen.

Aber hier, meine Damen und Herren, wenn ich von einem beachtlichen Erfolg spreche, muss ich wieder eine Relativierung hinzufügen. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war die Zahl der gemeinnützigen Stiftungen in Deutschland fast 10-mal so hoch wie heute. Sie ist über Weltwirtschaftskrisen, vollständige Geldentwertungen und eine politisch verfolgte, jedenfalls nicht gewünschte und deswegen am Ende gründlich ruinierte bürgerschaftliche Kultur in den 30er Jahren auch und gerade gemeinnützigen Engagements auf einen Rest geschrumpft, den wir seit der Jahrhundertwende vom 20. zum 21. Jahrhundert nur mühsam wieder zu restaurieren im Begriffe sind.

Und wenn wir über notwendige, aber mühsame Restaurierungen bürgerschaftlichen Engagements sprechen, dann müssen in diesem Zusammenhang neben der Gründung von Stiftungen und finanziellem Engagements über solche Aktivitäten oder Sponsorships auch die in einem beachtlichen Maße wieder entwickelten ehrenamtlichen Engagements gewürdigt werden, ohne die ein Großteil des Kulturangebots in Deutschland heute gar nicht mehr stattfinden könnte. Bei genauem Hinsehen auch vieler öffentlich getragener Institutionen, die mit einer schönen Selbstverständlichkeit davon ausgehen, dass für die Gestaltung von Öffnungszeiten, die Betreuung bestimmter Besuchergruppen und diese und jene Art von Aktivitäten dann aus dem Kreis der Freunde und Förderer das ehrenamtliche Engagement beigesteuert wird, das aus öffentlichen Kassen weder vorhanden ist noch zur Verfügung gestellt werden kann.

Meine dritte Bemerkung zum Zustand von Kulturstaat und Bürgergesellschaft betrifft die kulturelle Bildung. Der nach meiner persönlichen Einschätzung besorgniserregendste Teil der kulturellen Verfassung der Bundesrepublik Deutschland betrifft den Zustand der kulturellen Bildung in unserem Land. Er ist an einigermaßen anspruchsvollen Maßstäben gemessen mit lausig eher zu freundlich beschrieben. Die Vermittlung von Grundlagen und Interessen an bildender Kunst und Musik, wenn eben möglich auch die Motivation zur eigenen künstlerischen Betätigung ist an den deutschen Schulen längst notleidend geworden. Der allgemein beklagte Unterrichtsausfall ist in musischen sowie in den orientierenden Fächern überdurchschnittlich ausgeprägt, immer häufiger wird der Unterricht fachfremd erteilt, also ohne die unbestrittene Professionalität, die in den geistes- und naturwissenschaftlichen Fächern für eine schiere Selbstverständlichkeit gehalten werden. Kein Klassenlehrer würde ohne Zusage freien Geleits aus einer Elternversammlung kommen, wenn er im zweiten aufeinanderfolgenden Jahr den Ausfall von Mathematik- oder Physikunterricht verkünden müsste. Wenn er sich vor die gleiche Elternkonferenz stellt und mitteilt, dass nach drei Jahren, in denen bedauerlicherweise kein Musikunterricht erteilt werden konnte, in diesem Schuljahr wieder eine solche Möglichkeit besteht, weil sich der Sportlehrer freundlicherweise bereiterklärt habe, nachdem er zu Hause eine alte Mundharmonika gefunden hat, geht eine große Welle der Erleichterung durchs Klassenzimmer und damit ist das Thema scheinbar erledigt.

Die Bemerkung ist leider nicht so witzig, wie sie sich anhört. Dass an renommierten deutschen Gymnasien Kunst- oder Musikunterricht jahrgangsweise alternativ erteilt wird, ist eine beschämende Regel des Kulturstaates Deutschland geworden. Hier, meine Damen und Herren, setzen die Verantwortlichkeiten der Gesellschaft an, wenn wir das Thema so ernst nehmen wie es ernst genommen werden muss. Jedenfalls gilt für den Umgang mit Kunst und Kultur natürlich in gleicher Weise, dass ohne Kenntnis auch kein Verständnis, und ohne Motivation auch kein Engagement zu erreichen ist. Wenn bei Kindern und Jugendlichen das Interesse an Kunst und Kultur nicht nachwächst, dann vermindert sich unvermeidlicherweise in Zukunft sowohl das Angebot wie die Nachfrage für künstlerische Berufe sowie die Zahl der großen und kleinen Kultureinrichtungen, deren Bestand keineswegs nur durch aktuellen Haushaltsprobleme ihrer jeweiligen Träger gefährdet ist. Der große und bunte Garten der deutschen Kulturlandschaft ist nach meiner festen Überzeugung weit weniger in seinen Blüten bedroht als in seinen Wurzeln. Und das simpel zu einer staatlichen Aufgabe zu erklären, springt genauso zu kurz wie umgekehrt auf die Gesellschaft zu zeigen. Beide müssen hier eine originäre Verantwortung wieder entdecken.

Ich hatte Ihnen angekündigt, dass ich nicht nur, aber auch über Museen rede wolle, und hatte mir vorgenommen, ein paar nicht unbedingt originelle und schon gar nicht vollständige Bemerkungen zum Zustand unserer Museumslandschaft zu machen. Zu Glanz und Elend öffentlicher und privater Sammlungen gewissermaßen. Ich mache das eher im Telegrammstil, um eine handvoll Punkte mindestens zu markieren, von denen ich wie eingangs eingeräumt sicher davon ausgehe, dass Sie sie im Einzelnen besser übersehen als ich, von dem Sie aber mindestens den Eindruck mit nach Hause nehmen sollten, dass auch in der Politik der eine oder andere zur Kenntnis genommen hat, dass da Diskussions- und vielleicht auch Verhandlungsbedarf besteht.

Erstens. Ich glaube nicht, dass wir in Deutschland zu wenige Museen haben, ich fürchte wir haben inzwischen zu viel. Dass sich der Ehrgeiz von Bürgermeistern und Landräten, von Ministerpräsidenten und Kulturministern lieber in der Gründung von Kultureinrichtungen als in deren Schließung ausdrückt, ist hoch sympathisch und nicht zu beanstanden. Aber dass wir durch diese sympathische Verselbständigung eines beinahe genetisch vorprogrammierten Ehrgeizes längst einen Verdrängungsmechanismus auf den Weg gebracht haben, der vorhandene Einrichtungen durch Neugründungen gefährdet, gehört nach meiner festen Überzeugung zu den tabuisierten Sachverhalten nicht nur aber auch der deutschen Museumslandschaft. Und ich hätte eine große Sympathie dafür, in einem Aktionsbündnis der öffentlichen Hände – soweit es um ihr kulturpolitisches Engagement geht – die Selbstverpflichtung aufzunehmen, dass Neubauten von Museen wie übrigens auch Neubauten von Konzerthäusern und Theatern überhaupt nur noch dann zulässig sind, wenn die sich damit notwendigerweise ergebenden jährlichen Folgekosten dem Kulturetat zugeschlagen werden. Wenn das nämlich nicht erfolgt und regelmäßig erfolgt es nicht, geht der Neubau entweder auf Kosten anderer bereits existierender Kultureinrichtungen oder er muss durch eine Ausdünnung des Arbeitsprogramms genau derjenigen Institution selbst refinanziert werden, deren Arbeitsbedingungen auf diese Weise spektakulär verbessern wollte.

Zweitens. Wir haben nach meiner Beobachtung in Deutschland inzwischen groteske Disproprotionen zwischen Bau- und Unterhaltungskosten auf der einen Seite und den Ankaufsetats, den verfügbaren Mitteln für wissenschaftliches und pädagogisches Personal mit tränentreibenden Relationen. Wenn ich die jährlich verfügbaren Erträge mancher kleinerer privater Stiftungen mit den Ankaufsetats städtischer Museen in Deutschland vergleiche, fällt mir wenig Tröstliches ein. Und der Umstand, dass man Kausalitäten erklären kann, macht den Zustand ja noch nicht besser, jedenfalls so lange nicht, wie man daraus nicht Konsequenzen für künftiges Verhalten zieht.

Ich beobachte auch eher mit wachsender Besorgnis, dass die unter mancherlei Gesichtspunkten naheliegende aber nicht für jeden Bereich gleicherweise taugliche Übung des Ausgliederns auch zunehmend zu einem scheinbar probaten Mittel der Bewirtschaftung von Museen und anderen Kultureinrichtungen geworden ist. Was hier durch Aufgabe eigenen, jahre- und jahrzehntelang am jeweiligen Gegenstand geschulten und erfahrenen Personals an Expertise verloren geht und durch Jobhopper auf kulturellen Hochseilakten ersetzt wird, ist nach meiner festen Überzeugung bei langfristiger Betrachtung auch ökonomisch nicht vernünftig, kulturell ganz gewiss nicht. Und dass wir im übrigen alles natürlich im Kontext der Finanzausstattung von Museen und anderen Kultureinrichtungen inzwischen Personalstrukturen haben, bei denen man sich gelegentlich fragt, ob das Maß an Selbstausbeutung oder Fremdausbeutung von dort beschäftigten Mitarbeitern größer ist, darf auch im Rahmen eines Festvortrages nicht unterschlagen werden. Ich kenne Museen in Deutschland, bei denen Praktikantinnen de fakto die Position des stellvertretenden Museumsleiters wahrnehmen.

Dritte Bemerkung. Wir haben über die letzten vielleicht zwei Jahrzehnte durch die grundsätzlich natürlich sehr zu begrüßende Entwicklung des Angebots privater Sammlungen für öffentliche Museen einen zunehmenden Trend der Selbstfesselung und Selbstentmündigung öffentlicher Einrichtungen durch private Sammler erlebt. Teilweise haben ehrgeizige Sammler öffentlichen Museen erstaunliche Bedingungen diktiert unter denen sie, wenn überhaupt bereit waren, diese privaten Sammlungen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. So sehr ich den Vorgang im allgemeinen gerade auch in der Verbindung von Kulturstaat und Bürgergesellschaft mit Nachdruck begrüße, im einzelnen sind hier teilweise Vereinbarungen zustande gekommen, die weder mit Blick auf das eine noch auf das andere Engagement ernsthaft zu verantworten sind.

Es sind im übrigen die wenigsten privaten Sammlungen so wertvoll, dass sie den Bau eigener Häuser rechtfertigen und schon gar nicht den Einsatz von Steuermitteln für den Bau solcher eigener Häuser. Und die regelmäßige Erwartung, dass mit der Bereitstellung privater Sammlungen die öffentlichen Museen die Verpflichtung eingehen müssen, sie wenn schon nicht komplett, so jedenfalls ständig zu zeigen, ist im Vergleich zu den Beständen der gleichen Museen, die zu 90 Prozent in Magazinen schlummern, unter nahezu jedem Gesichtspunkt monströs.

Hier ist ein Klärungs- und Bereinigungsprozess dringend geboten, von dem ich den Eindruck habe, dass er inzwischen auch in Gang gekommen ist, den ich jedenfalls aus den genannten Gründen für völlig unverzichtbar halte.

Vierte Bemerkung: Wir haben nach meiner Beobachtung eine zunehmende Verwechslung von Besucherzahlen und Bedeutung von Ausstellungen. Und die traumwanderische Sicherheit, mit der sich auch das deutsche Feuilleton darauf verständigt zu haben scheint, das eine für das andere zu halten, gibt mir eher Anlass, eine zusätzliche Bemerkung zum Zustand kultureller Bildung in Deutschland zu machen, als die Besorgnisse für ausgeräumt zu halten, die ich vorhin vorgetragen habe. Wie überhaupt das Verhältnis von Musen und Medien zu den komplizierten Beziehungskisten gehört, die ich vorhin am Beispiel Kultur und Ökonomie etwas breiter entfaltet habe.

Weder die Teilnehmerzahl noch der finanzielle Deckungsgrad sind hinreichend geeignete Erfolgskriterien für den Erfolg einer Ausstellung. Im übrigen ist das ähnlich absurd, als wollte man die Leistungsfähigkeit eines Parlaments an der Anzahl der pro Legislaturperiode verabschiedeten Gesetzesvorhaben messen.

Fünftens: Es gibt natürlich längst den Trend zur großen Kulturinszinierung, bei der das tatsächlich oder vermeintliche gesellschaftliche Ereignis den kulturellen künstlerischen Vorgang eher überdeckt und manchmal auch verdrängt. Manchmal sind sowohl die Anzahl wie die Prominenz der Teilnehmer solcher Veranstaltungen auffälliger als das Ereignis selbst. Nun habe ich persönlich überhaupt nichts gegen Events. Auch und schon gar nicht im Zusammenhang mit Kunst und Kultur. Ich bin sehr für Ereignisse, wenn es sich denn um solche handelt. Aber ich glaube, wir sollten uns mal eine Daumenregel angewöhnen, dass dann, wenn der gesellschaftliche Auflauf und das damit verbundene Aufsehen das eigentliche Ereignis war, die Ausstellung eben nicht gelungen gewesen ist oder auch das Konzert oder die Opernproduktion nicht so bedeutend wie sie sich selbst angekündigt haben.

Natürlich gibt es sie, diese großen Ereignisse, die grandiosen Theaterabende, die herausragenden Ausstellungen, die atemberaubenden Lesungen. Aber was ein Ereignis war, weiß man regelmäßig erst hinterher. Und deswegen empfehle ich jedenfalls als Kriterium öffentlicher Förderung den Grundsatz: Fördern, was es schwer hat, und nicht fördern, was auf hohe breite öffentliche Zustimmung ohne rechnen kann.

Meine Damen und Herren, ich will ganz zum Schluss noch einige Sätze zum Thema Menschen im Museum sagen und damit zu dem Aspekt von Qualitätsfestigung, Qualitätssteigerung, Erfolgsorientierung, mit dem sich ja diese Tagung im einzelnen beschäftigt. Auch das ist ein weites Feld, das nicht zuletzt deswegen besonders kompliziert ist, weil man hier ja nicht mit wirklich verlässlichen Indikatoren zu tun hat, sondern mit eher subjektiven Maßstäben und Empfindungen. Was den einen restlos überzeugt, langweilt den anderen möglicherweise. Ich gebe freimütig zu, dass es mir beim Besuch von Ausstellungen, bei denen ich auch diese und jene Erfahrungen gemacht habe, häufig so geht wie Thomas Mann es in seinen Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull einmal beschrieben hat: „So geht es ja in Museen und Ausstellungen, sie bieten zuviel. Die stille Vertiefung in eine oder wenige Gegenstände aus ihrer Fülle wäre für Geist und Gemüt wohl ergiebiger.“

Ich habe Ihnen dazu einen kurzen Text mitgebracht, für den ich ganz zum Schluss noch Ihre Aufmerksamkeit erbitte, der von Paul Valéry stammt und unter der Überschrift „Das Problem der Museen“ das schildert, was er jedenfalls für deren Problem hält:

„Ich habe keine ausgesprochene Vorliebe für Museen. Zwar gibt es sehr viele bewunderungswürdige unter ihnen, aber kein einziges ist wirklich bezaubernd. Der Gedanke der Einteilung in Schulen, der Konservierung und der allgemeinen Nützlichkeit, der an sich richtig und klar ist, hat wenig mit Entzückungen zu tun... Bald weiß ich gar nicht mehr, was ich eigentlich unter diesen wächsernen Einsamkeiten suche, die etwas vom Tempel und Salon, von Friedhof und Schule haben. Bin ich gekommen, um mich zu bilden? Suche ich mein persönliches Vergnügen? Will ich einer Pflicht oder nur den gesellschaftlichen Verpflichtungen Genüge tun? Oder aber sollte es doch nur eine Studie besonderer Art sein, dieses Wandeln zwischen willkürlich sich in den Weg stellenden Kunstwerken, bei dem man ihnen bald links, bald rechts ausweichen und sich wie ein Betrunkener zwischen den Schanktischen hindurchlavieren muss. … Ebenso wie der Gesichtssinn durch den Missbrauch der räumlichen Gleichzeitigkeit, den eine Bildersammlung mit sich bringt, vergewaltigt wird, leidet auch der Verstand unter der Anhäufung bedeutender Werke. Je schöner sie sind, je stärker sie wirken als ausgewählte Manifestationen menschlichen Strebens, um so entschiedener sollten sie voneinander getrennt werden. Es sind Dinge erlesener Seltenheit, von denen die Schöpfer gewünscht hätten, sie wären einmalig. Ich glaube, dass weder Ägypten noch China, noch Griechenland, denen man Weisheit und Verfeinerung nachrühmt, dieses System des Nebeneinanderstellens von Kunstwerken gekannt haben, wo eins das andere verschlingt. Sie pflegten nicht, auf Grund abstrakter Prinzipien, unvereinbare Werke mit Katalognummern zu versehen. Aber unser Erbe erdrückt uns. Der moderne Mensch, geschwächt durch die Enormität seiner technischen Mittel, verarmte unter dem Übermaß seiner Reichtümer. Der Mechanismus der Schenkungen und Stiftungen, die Kontinuität von Produktion und Ankäufen und jene andere Ursache der Vermehrung, die auf den Schwankungen der Mode und des Geschmacks beruht, auf dem Zurückgreifen auf einst verschmähte Werke, tragen ständig zur Anhäufung eines übermäßigen und daher unausnutzbaren Kapitals bei. … Indessen steht die Möglichkeit, sich dieser Sammlung zu bedienen, in keinem Verhältnis zu ihrem ständigen Anwachsen. Unsere Schätze erdrücken und lähmen uns. Die Notwendigkeit, sie an einem Ort zu konzentrieren, erhöht noch diese Wirkung, die uns betäubt und traurig macht. Die Galerien mögen noch so weitläufig, noch so geeignet, noch so trefflich geordnet sein, wir werden uns stets in ihnen etwas verloren und trostlos fühlen, allein gegen soviel Kunst! Die Produktion dieser nach Tausenden zählenden Arbeitsstunden, von so vielen Meistern für ihre Zeichnungen und Malereien aufgebracht, wirkt in wenigen Augenblicken auf unsere Sinne und unseren Geist: und diese Arbeitsstunden selbst waren Stunden, auf denen das Gewicht jahrelangen Suchens, Experimentierens, Beobachtens lag, voll von Genie und künstlerischer Eingebung…! Wir werden dem notwendigerweise erliegen. Was tun? Wir werden oberflächlich. Oder aber wir werden zu gelehrten Sachkennern. Auf dem Gebiet der Kunst ist Gelehrsamkeit eine Art Niederlage. Sie erhellt die Oberfläche und vertieft das Unwesentliche. Sie ersetzt das Empfinden durch ihre Hypothesen und die Gegenwart des Kunstwerkes durch ihr erstaunliches Gedächtnis. Sie ergänzt das umfangreiche Museum durch eine Bibliothek, die keine Grenzen kennt. Aus der Venus wird ein Dokument. …

Plötzlich“, so Valéry im Schlussteil dieser freundlichen Polemik „plötzlich sehe ich wie durch einen Schleier etwas Klarheit. Eine Antwort wächst in mir, löst sich langsam von meinen Eindrücken und verlangt ausgesprochen zu werden. Malerei und Bildhauerei, sagt mir der Dämon der Erklärung, sind Findlinge. Ihre Mutter, die Baukunst, ist tot. Zu ihren Lebzeiten wies sie den beiden Kindern ihren Platz, ihr Amt, ihre Grenzen an. Die Freiheit, in die Irre zu gehen, war ihnen nicht gewehrt. Sie hatten ihren Bereich, ihre bestimmte Bedeutung, ihre Untertanen und Bundesgenossen. Solange die Mutter lebte, wussten sie, was sie wollten.“

Wissen wir, was wir wollen? Wissen die Museen, was sie wollen? Wissen wir, was wir von den Museen wollen? Ein ganz subjektiver Versuch zum Schluss. Das Unbekannte bekannt zu machen, das Unentdeckte zu entdecken, das Ungewohnte begreifbar, das Unbegreifliche verständlich zu machen. Zusammenhänge und Verbindungen offenzulegen. Hinter dem Beliebigen das Bedeutende und hinter dem Zufälligen das Wesentliche zu identifizieren. Das ist nicht die Einzige, vielleicht aber die wichtigste Aufgabe der Museen, wenn sie ihren Auftrag und ihre Verpflichtungen ernst nehmen.


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