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Rede auf dem 38. Bezirksparteitag der CDU Ruhr
am 29. November 2008 in Gelsenkirchen

Herr Tagungspräsident,
lieber Wolfgang Meckelburg,
liebe Regina van Dinther,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Parteifreunde, verehrte Gäste,

„Lauter Superlative auf engem Raum. Die meisten Arbeitsplätze, das meiste Bauland, der größte Binnenhafen, die meisten Universitäten und Theater. Im Ruhrpott herrscht Aufbruch. ‚Keine Kohle mehr’ heißt hier nicht Feierabend, sondern Neubeginn. Zwischen Duisburg und Dortmund entsteht eine überraschende Weltstadt mit außergewöhnlichen Menschen.“

Mit dieser beinahe hymnischen Eröffnung hätte ich mich kaum getraut, diesen Parteitag beginnen zu lassen, wenn dies nicht die Einleitungssätze eines großen Artikels über das neue Ruhrgebiet im STERN von Anfang Oktober dieses Jahres gewesen wären unter der Überschrift „Der I-Pott. Das neue Ruhrgebiet. Hier entsteht eine überraschende Weltstadt mit außergewöhnlichen Menschen“.

Als vor etwa drei Wochen ganz in der Nähe auch in Gelsenkirchen im Musiktheater im Revier eine bürgerschaftliche Initiative aufgerufen hat: „Wir gründen Deutschlands größte Stadt“, hat dieser Gedanke eine unmittelbare, zunächst einmal symbolische Fortsetzung gefunden. In der Grußadresse zu dieser Veranstaltung, um die ich gebeten war, habe ich damals gesagt, über das Ruhrgebiet ist eigentlich alles gesagt: Richtiges und Falsches, Erfreuliches und Unerfreuliches, Nachprüfbares und Spekulatives, Ermutigendes und Ernüchterndes - und so könnte ich heute auch anfangen. Es ist eigentlich alles gesagt, jedenfalls habe ich fast alles gesagt zur politischen, zur wirtschaftlichen, zur sozialen, zur kulturellen Verfassung dieser Region mit Blick auf das, was mir besonders wichtig erschien. Und es wird Zeit, dass in Zukunft und für die Zukunft das andere übernehmen. Der künftige Vorsitzende der Ruhr-Partei wird später über seine Vorstellungen der Arbeit in der Region und für die Region berichten. Meine Aufgabe ist es heute Morgen, etwas über die jüngere Vergangenheit zu sagen, insbesondere über die zwei letzten Jahre, für die der heute aus dem Amt scheidende Vorstand Rechenschaft zu geben hat, und über die mehr als zwanzig Jahre, in denen ich diese Partei führen, vielleicht auch formieren, jedenfalls in die Volljährigkeit begleiten durfte. Über beides liegen Ihnen, allen Delegierten und ich denke den Gästen auch, knappe schriftliche Berichte vor, sowohl über den Zweijahreszeitraum wie über den längeren Zeitraum im Ganzen, in denen nicht nur die Anzahl der Parteitage, der Vorstandssitzungen, der Foren und anderer Zusammenkünfte der Ruhr-Partei im einzelnen aufgelistet sind.

Aber wie wir alle in dieser Region noch besser wissen als anderswo, jenseits solcher geduldigen bedruckten Blätter Papier, „die Wahrheit liegt immer auf’m Platz“. Und deshalb möchte ich ein paar Bemerkungen machen zu meiner Wahrnehmung der aktuellen Situation dieser Region und der sich daraus ergebenden Aufgabenstellung nicht nur für uns, aber jedenfalls für uns, einer Partei, die den Anspruch erhebt, wir sind die Ruhr-Partei, und von der inzwischen niemand mehr ernsthaft behauptet, dass dieser damals scheinbar maßlose Anspruch unbegründet sei. Keiner – schon gar nicht unsere früher einmal starke, verehrte unmittelbare Konkurrenz – würde sich heute noch trauen, diesen Anspruch zu erheben, eines der stolzesten Ergebnisse einer gut zwanzigjährigen Arbeit, einer vermeintlich hoffnungslosen Minderheitspartei hier im Ruhrgebiet.

Wenn wir uns mit der aktuellen Lage und mit dem nüchternen Blick auf die Realitäten bemühen, dann könnte eine knappe Zusammenfassung jedenfalls aus meiner Sicht lauten: Das Bild dieser Region ist besser geworden, die Verhältnisse auch. Aber eben noch nicht so gut wie es sein könnte. Und leider vollziehen sich wichtige Veränderungen nach wie vor nicht so schnell, wie es an manchen Stellen dringend erwünscht wäre. Ich will zur Ambivalenz der Lage, von der ich glaube, dass man sie im Blick behalten muss, ohne die Errungenschaften gegen die Defizite auszuspielen, ein paar Hinweise geben. Ich beginne zur Abteilung erfreuliche Veränderungen mit dem zusammenfassenden Befund, der sich in der gleichen Quelle findet, die ich zu Beginn zitiert habe, dem großen STERN-Report über das neue Ruhrgebiet. Dort wird darauf hingewiesen, dass wir hier in dieser Region 14.000 ha freie Fläche für Bebauungsaktivitäten haben, fast hundert mal mehr als Hamburgs Hafencity, und das gilt als das größte Städtebauprojekt mindestens in Deutschland, wenn nicht darüber hinaus. Im Ruhrgebiet sitzen siebzehn der hundert umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands, im Bereich Chemie, im Bereich Logistik, im Bereich der Energiewirtschaft. In Wahrheit, schreibt der STERN, „in Wahrheit hat der Ruhr-Pott ja alles, was eine Weltstadt braucht, die Menschen, die ethnische Vielfalt, Kultur, modernste Sportarenen, Forscher, Künstler, Visionäre und Spinner. Universitäten und Einkaufszentren so groß wie die in Amerika, Naherholungsgebiete, Wälder und Parks, Paläste und Hütten, Milliardäre und Proleten“.

Meine Damen und Herren, dass ausgerechnet in dieser Region die erste Gruppe der Milliardäre mal größer werden würde als die zweite der Proleten, hätten auch die allerwenigsten für möglich gehalten. Es gibt interessante, zum Teil spektakuläre Veränderungen, aber es gibt nach wie vor hartnäckige Vorstellungen über Verhältnisse und Entwicklungen in der Region, die genau den Veränderungen im Wege stehen, die diese Region dringend braucht. Ich will das an einer handvoll Beispielen verdeutlichen, die man als Vorstellung über diese Region und ihre Entwicklung nach wie vor antrifft, in der Region wie außerhalb der Region.

Das erste ist die weitverbreitete Vorstellung, Größe reicht und das Ruhrgebiet ist schließlich die größte Industrieregion Europas. Die Wahrheit ist: Größe reicht nicht. Größe reicht nie. Und im Übrigen ist das Ruhrgebiet auch nicht mehr die größte Industrieregion Europas.

Zweitens: Die Verlängerung einer großen Vergangenheit sichert Zukunft. Die Wahrheit ist: die Verlängerung der Vergangenheit verlängert die Vergangenheit und schafft keine Zukunft. Wer Zukunft gestalten will, muss Neues anfangen. Ich trage ja ein wenig dazu bei. Jedenfalls ist die Vorstellung bestenfalls liebenswürdig, aber nicht wirklichkeitsnah, man könne mit der schlichten Verlängerung dessen, was in der Vergangenheit gut und erfolgreich war, den Erfolg für die Zukunft sichern.

Drittens: Das Problem dieser Region sei es, dass der Strukturwandel hier bedauerlicherweise zu schnell stattgefunden habe. Die Wahrheit ist: er hat nicht schnell genug stattgefunden. Die Wahrheit ist, wir haben aus verständlichen Gründen viel Zeit und Energie und übrigens auch hohe Kosten für Stellungskriege verbraucht, um die Freude an der stolzen Vergangenheit länger zu erhalten als es für die Gestaltung der Zukunft nötig gewesen wäre.

Viertens: Aber immerhin spielen die großen Städte im Ruhrgebiet in der Bundesliga der Kommunen Deutschlands. Die Wahrheit ist: sie spielen nicht in der Bundesliga oder genauer gesagt, ob sie in der Bundesliga spielen oder nicht, darauf kommt es immer weniger an, wir spielen entweder in der Champings-League oder wir spielen nicht mit. Und in der europäischen Champings-League spielt keiner mit, Bochum nicht und Dortmund nicht und Duisburg nicht und Essen nicht, nicht mal Gelsenkirchen, von Castrop-Rauxel, Oer-Erkenschwick, Breckerfeld und vielen anderen bedeutenden Kommunen dieser Region gar nicht zu reden.

Mit anderen Worten, liebe Freunde und liebe Gäste, das Ruhrgebiet ist ganz gewiss ein starkes Stück Deutschland und die Ruhr-Partei ein starkes Stück Ruhrgebiet, beide sind freilich nicht so stark wie nötig und möglich. Oder etwas anders formuliert: die Neigung zum großen Anlauf ist noch immer stärker entwickelt als der Mut zum großen Sprung.

Ich will das an einem konkreten Beispiel verdeutlichen. Nehmen wir Witten. Eine Stadt, die ich bisher nicht genannt habe, die mir auch deswegen besonders gut vertraut ist, weil für den nach wie vor größeren Teil meiner Zeit der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag Witten zu meinem Bundestagswahlkreis gehörte. Mit etwa 100.000 Einwohnern wäre Witten in jeder anderen Region in Deutschland eine beachtlich große Kommune. Im Ruhrgebiet fällt sie wie die meisten anderen Kommunen schwerlich auf. Die zuständige Industrie- und Handelskammer für Witten sitzt in Bochum, die Handwerkskammer in Dortmund, das Arbeitsamt in Hagen, für die Sonderschulen in Witten ist Münster zuständig, für große Entwicklungsprojekte Arnsberg, Straßenverkehr und Gesundheit für die Stadt Witten regelt die Kreisstadt Schwelm, dort ist auch das Polizeipräsidium des Ennepe-Ruhrkreises untergebracht, das aber für Witten nicht zuständig ist, dafür ist wiederum Bochum zuständig. Ja glaubt denn irgendjemand im Ernst, dies sei eine zukunftsfähige Verfassung für die Entwicklung einer Kommune? Im Übrigen, wir feiern in diesem Jahr den 50. Geburtstag des Ruhr-Bistums. Zweifellos war seine Gründung eine der wichtigen und positiven Veränderungen in dieser Region. Es gehört zu den sorgfältig gepflegten Mythen, dass dies neben der CDU-Ruhr die einzige, die gesamte Region erfassende Organisation sei. Die Wahrheit ist - bleiben wir bei Witten - Witten-Herbede gehört zum Ruhr-Bistum, Herbede, der Rest nicht, der gehört zu Paderborn. Zu Paderborn gehört auch Dortmund, weil Paderborn bei der Gründung des Ruhr-Bistums wenigstes eine Großstadt im Ruhrgebiet im eigenen Bistum behalten wollte. Aus ähnlichen Gründen behielt das Bistum Köln Kettwig und war interessanterweise bereit, Essen aufzugeben, Kettwig aber nicht. Das Bistum Münster behielt selbstverständlich den Kreis Recklinghausen. Dafür gehören nun allerdings zum Ruhr-Bistum Lüdenscheidt und Nachrodt-Wiblingwerde. So viel zum Thema Einheit des Ruhrgebietes.

Mit freundlichen Grüßen an den Verkehrsminister: dass in Duisburg und Dortmund die Straßenbahnen auf 1,44 Meter-Normalspur fahren, in Bochum und Essen aber auf der Meter-Spur, das ist natürlich historisch gewachsen und muss deswegen auch unbedingt so bleiben. Braucht noch irgendjemand eine Erklärung dafür, warum im Ruhrgebiet die Bahnfahrt von Bochum-Dahlhausen nach Haltern 4,10 Euro kostet, die Rückfahrt von Haltern nach Dahlhausen aber 9,10 Euro? Weil wir uns ein Dutzend selbständiger Nahverkehrsunternehmen in einer Region leisten, die unter diesen Bedingungen sicher nicht Metropolenregion wird! Oder wie es die WAZ einmal in einem Artikel, aus dem ich einige dieser Beispiele entnommen habe, vor einiger Zeit formuliert hat, das Ruhrgebiet ist nicht zentralisiert, aber auch nicht dezentralisiert, „nicht mal Kraut und Rüben, nur Rübenkraut“. Dass das Ruhrgebiet immer schnell an seine Grenzen stößt, liegt an seinen Grenzen, an den Zuständen bei den Zuständigkeiten. Das ist präzise der Punkt, wobei ich zu unseren größeren Erfolgen zähle, dass inzwischen auch einzelne bedeutende Druckerzeugnisse auf der Höhe dieser Einsicht angekommen sind und sie in dieser Weise zitierfähig auch ihren Leser nahebringen, das war ja am Anfang auch nicht so. Insofern lautet auch hier wieder der freundliche Befund: jawohl, der Groschen ist gefallen, und der nicht ganz so erfreuliche Befund: aber das Problem ist eben noch immer nicht gelöst.

Unser letzter Bezirksparteitag in Mühlheim war ganz gewiss nicht spektakulär, aber er war mir auch deswegen wichtig, weil er einmal mehr ein Programm-Parteitag war. Einmal mehr haben wir uns über das verständigt, was für alle Kreisverbände und Vereinigungen in diesem Verband die gemeinsame Orientierungslinie für die Entwicklung der nächsten vier, fünf Jahre ist. Dies ist – wie die allermeisten von Ihnen wissen – immer mein Politikverständnis gewesen und wird es auch bleiben, dass Politik noch vor allen Personalien mit Sachfragen zu tun hat. Dass sie Anliegen haben und vermitteln und wenn eben möglich verwirklichen müssen. Die Einheit dieser Region, die Schaffung einer neuen Metropole Ruhr, einem starken Stück Deutschland in Europa ist mein großes Anliegen gewesen und wird es auch bleiben. Es ist unvollendet, aber immerhin zunehmend unbestritten. Die Menschen an der Ruhr und an der Emscher haben das inzwischen längst begriffen, viele früher als manche Bürgermeister und Landräte in der gleichen Region. Die Versuchung, vor den eigenen Einsichten davonzulaufen und aus der gemeinsamen Region auszusteigen, hat sich auch an den Flügeln sehr beruhigt. Es gibt keine Alternative, jedenfalls keine überzeugende funktionstüchtige Alternative zu dieser Gemeinsamkeit. Nur gemeinsam haben die Städte und Kreise dieser Region eine Zukunft.

Regina von Dinther hat vorhin in ihrer Begrüßung an die Anfänge erinnert. Als wir 1986 diesen Bezirk gegründet haben, die Ruhr-Partei, war Deutschland geteilt in Ost und West, in einen freiheitlichen und einen autoritären Teil - und das Ruhrgebiet auch. Wir hatten drei Regierungsbezirke, zwei Landschaftsverbände und 53 mehr oder weniger selbständige Kommunen. Damals hätten die wenigsten für möglich gehalten, dass die Wiederherstellung der deutschen Einheit leichter und schneller gehen würde als die Schaffung der Einheit des Ruhrgebietes. Offenkundig war die deutsche Einheit auch die einfachere Veranstaltung. Wenn wir uns heute um die Frage kümmern, wie weit sind wir denn gekommen, gibt es wieder den gleichen ambivalenten Befund: Fortschritt in Prinzip und Stagnation im Verfahren. Wir haben, das will ich ohne jeden Unterton ausdrücklich noch einmal würdigen, eine Koalitionsvereinbarung, die in dieser Frage zum ersten Mal und auch völlig unmissverständlich Position bezieht. Und es ist die reine Wahrheit, was ich heute nicht zum ersten Mal vortrage und vielleicht auch nicht zum letzten Mal, dass Jürgen Rüttgers der erste Ministerpräsident in der Geschichte Nordrhein-Westfalens ist, der die Unverzichtbarkeit einer angemessenen politischen Verfassung für das Ruhrgebiet als Entwicklungsvoraussetzung nicht nur für diese Region, sondern für das gesamte Land Nordrhein-Westfalen nicht nur begriffen hat, sondern bereit ist, daraus operative Schlussfolgerungen für die administrative Verfassung des ganzen Landes zu ziehen.

Insofern ist die Vereinbarung der Koalition, einen administrativen Umbau der gesamten Landesverwaltung mit der Schaffung von drei Regionalverbänden für das Rheinland, Ruhrgebiet und Westfalen zu schaffen, ein kleiner Schritt in die Menschheit, aber ein großer Schritt für die Region und ihre politische Selbstverwaltung. Mit Blick auf die Erfahrungen der letzten paar Wochen und Monate hat sich die Austrittsklausel, die mit meiner ausdrücklichen Mitwirkung damals in einem zweiten Anlauf in das neue RVR-Gesetz eingefügt worden ist, sowohl im Grundsatz wie in der Ausgestaltung der Mehrheitserfordernisse als notwendig und zugleich praktikabel, vor allem aber als klug erwiesen. Sie gab den Kommunen nicht nur die Möglichkeit, selbst darüber zu entscheiden, ob sie denn nun eigentlich dazugehören wollen oder nicht, und beseitigt damit den fatalen Mythos, man gehöre ja nur deswegen dazu, weil man nie die Möglichkeit gehabt habe, sich dagegen zu entscheiden, und setzt gleichzeitig einen solchen Beschluss unter die Mindestanforderung einer qualifizierten Mehrheit. Ich will im Übrigen auch heute noch einmal ausdrücklich bekräftigen, was wir aus gutem Grund in unser Regionalprogramm beim letzten Parteitag geschrieben haben: mit der Übertragung der Planungskompetenz an den Regionalverband Ruhr wird diese Austrittsklausel für die Zukunft selbstverständlich obsolet. Man kann nicht einen Planungsraum unter Austrittsmöglichkeit der Mitgliedskommunen aufrechterhalten, das heißt hier muss der Landesgesetzgeber früher oder später eine entsprechende Konsequenz aus seiner bereits getroffenen richtigen Entscheidung ziehen, die Planungskompetenzen für die Region in der Region selbst anzusiedeln.

Ich darf vielleicht auch heute mit Blick auf diesen Teil der Auseinandersetzungen sagen, die Debatten im Verband über die Zugehörigkeit zur Region und ihren politischen Strukturen waren auch in der eigenen Partei nicht immer gemütlich, gelegentlich werde auch manche politische Freundschaft strapaziert. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass die CDU-Fraktionen in Wesel und Hagen den Versuchungen widerstanden hätten, so wie die Fraktionen in Hamm oder Unna und auch in Dortmund, aber ich will eins hinzufügen: es bleibt bemerkenswert, dass auch in den genannten Kreisverbänden mancher aus dem Regionalverband austreten wollten, aber niemand aus dem Bezirksverband. Dafür muss es ja auch Gründe geben, die ich heute nicht weiter vertiefen will. Ich nehme das einmal als einen eindrucksvollen Beleg für die nicht nur in der Satzung geregelte, sondern auch gefühlte und gewollte Zusammengehörigkeit im Bezirk. Wir sind die Ruhr-Partei und wir bleiben es.

Einige wenige Bemerkungen zum Schluss. Als wir 1986 unsere gemeinsame Arbeit begonnen haben, durch den Zusammenschluss von 14 Kreisverbänden aus dem rheinischen und dem westfälischen Teil des Ruhrgebietes habe ich auf unserem Gründungsparteitag in Essen vier Ziele markiert:

1. Die Entwicklung und Etablierung einer geschlossenen, handlungsfähigen Parteiorganisation, die in der Region erkennbar und für die Region wirksam ist.
2. Die Direktwahl der Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte und damit die Abschaffung der Doppelspitze zwischen einem vermeintlich ehrenamtlichen und einem faktisch die Geschäfte führenden hauptamtlichen Stadtdirektor und damit die Stärkung der Legitimation der politischen Führung in den Städten und Gemeinden.
3. Die Bündelung der regionalen Kompetenzen und Aufgaben in einem Regionalverband, der das Nebeneinander von 53 Kommunen, drei Regierungsbezirken und zwei Landschaftsverbänden überwindet und insbesondere die Planungskompetenz für die gesamte Region zurückgewinnen muss.

4. Den Nachweis der Mehrheitsfähigkeit der Union auch und gerade im Ruhrgebiet.

Hier sitzen heute nicht mehr ganz so viele, aber immer noch einige, die sich an den Gründungsparteitag 1986 in Essen werden erinnern können. Spätestens beim letzten der von mir genannten Punkte, dem Nachweis der Mehrheitsfähigkeit der Union auch im Ruhrgebiet, war mit Händen zu greifen, dass eine deutliche Mehrheit des Parteitages nun spätestens davon überzeugt war, dass der gerade frisch gewählte Vorsitzende von der Begeisterung über sein Amt über alle Realitäten hinweggetragen jede Bodenhaftung verloren hätte. Heute, an dem Tag, an dem ich diese Aufgabe zurückgebe, sind zwei der vier genannten Ziele erreicht und die beiden anderen auf gutem Wege. Zunächst die Entwicklung und Etablierung einer geschlossenen, handlungsfähigen Parteiorganisation, die in der Region erkennbar und für die Region wirksam ist. Niemand bestreitet, dass es so ist. Und wir haben die Kommunalverfassung geändert, übrigens gegen den erbitterten Widerstand der Sozialdemokaten, die zutreffend ahnten, was ihnen blüht, wenn es uns gelingen würde, die Direktwahl von Oberbürgermeistern und Landräten in der Region zu realisieren. Beide haben übrigens Recht behalten, die Sozis mit ihrer Befürchtung und wir mit unseren Hoffnungen.

Was das dritte Ziel angeht, die Schaffung eines handlungsfähigen politischen Regionalverbandes, sind die Weichen richtig gestellt, und es ist jetzt die wichtige Aufgabe der Nachfolger dafür zu sorgen, dass die Züge nicht in den Bahnhöfen stehen bleiben, sondern Fahrt aufnehmen.

Und viertens schließlich, den Nachweis der Mehrheitsfähigkeit der Union im Revier, haben wir geführt. Die erste Kommunalwahl nach Verabschiedung der neuen Kommunalverfassung 1999 war nicht nur die erste Wahl, in der wir nach dem Kriege wieder Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte im Ruhrgebiet für die Union gewonnen haben, es war zugleich die erste Wahl, in der die CDU die stärkste Partei im Ruhrgebiet geworden ist. In den nächsten zwei Jahren – für den der heute neu zu wählende Vorstand verantwortlich ist – sind vier Wahlen vorzubereiten. Die Kommunalwahlen und die Europawahlen, die Bundestagswahlen und die Landtagswahlen. Mein Vorschlag ist, wir gewinnen sie alle vier. Ich finde es außerordentlich gut, dass diesmal die spontane Zustimmung des Parteitages ohne Zögern erfolgt, während das 1986 wegen vermeintlicher Wirklichkeitsferne nicht so war. Aber ich wüsste auch keinen überzeugenden Grund, warum wir nicht irgendeine dieser Wahlen nicht gewinnen könnten. Das letzte mir bekannte Wahlbarometer für Nordrhein-Westfalen mit differenzierter Erfassung des aktuellen möglichen Wahlverhaltens im Ruhrgebiet, das aus dem frühen Sommer dieses Jahres stammt, hat dies bestätigt. Wenn damals Kommunalwahlen gewesen wären, nämlich im Mai 2008, käme die CDU im Ruhrgebiet auf 37 Prozent, mit einem für die Union untypischen großen Vorsprung von neun Prozent gegenüber den Sozialdemokraten. Also, dass wir diese Wahlen, insbesondere auch die Kommunalwahlen, gewinnen können, und dass wir sie im Interesse dieser Region dringend gewinnen müssen, daran ist kein Zweifel erlaubt.

Meine lieben Parteifreunde, ich bin nun seit 42 Jahren Mitglied der CDU, von diesen 42 Jahren bin ich mehr als die Hälfte der Zeit Vorsitzender der Ruhr-Partei. Darauf bin ich fast ein bisschen stolz. Ich weiß, dass ich meiner Partei viel verdanke und ich habe mit meinem Dienst jedenfalls den redlichen Versuch unternommen, meinen Beitrag zur Arbeitsfähigkeit und zur Wahrnehmung der CDU im Ruhrgebiet zu leisten. Als ich 1986 diese Aufgabe übernommen habe, waren unsere heute jüngsten Parteimitglieder noch gar nicht geboren. Und unsere hoffnungsvollen Nachwuchsstars waren noch im zarten Kindesalter. Philipp Mißfelder müsste damals so sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein und hat deswegen auch erstaunlicherweise am Gründungsparteitag nicht teilgenommen. Er ist inzwischen fast erwachsen und kümmert sich mit unauffälligem Interesse um die gesetzlichen Bedingungen des Erhalts von neuen Hüften im fortgeschrittenen Alter. So ändern sich die Zeiten.

Liebe Freunde, viele sagen, man solle aufhören, wenn es am schönsten ist. Das gelingt bekanntlich selten, in Parteien besonders selten, und es ist auch eher falsch. Aufhören sollte man nicht erst dann, wenn es am schönsten ist, sondern wenn es richtig ist. Veränderungen müssen stattfinden, wenn sie nötig und möglich sind und wenn die Zeit dafür gekommen ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass dies genau der richtige Zeitpunkt für den nötigen Wechsel in der Verantwortung für diese Partei in dieser Region ist. Und ich kann bei ruhiger nüchterner sorgfältiger Prüfung nicht erkennen, wann es je einen besseren geben könnte. Die Partei befindet sich in einer bemerkenswerten Verfassung. Wir haben weder Richtungskämpfe noch Personalauseinandersetzungen, wir wissen, was wir wollen und wohin wir wollen, wir wollen sogar gemeinsam. Die Konkurrenz nimmt uns ernst und die Öffentlichkeit auch. Wann je, wenn nicht in einer solchen Situation sollte die Weiterentwicklung erfolgen, die alle brauchen und natürlich auch und gerade eine politische Partei.

Ich möchte mich heute natürlich auch ganz besonders bedanken bei all denen, die diese Strecke mit mir gemeinsam gegangen sind. Vieles von dem, was mir zugerechnet wird, hätte gar nicht stattfinden können, wenn es nicht so eine enge, freundschaftliche Zusammenarbeit mit vielen Kolleginnen und Kollegen gegeben hätte, die ich hier nicht alle namentlich aufzählen kann und von denen bei einer so langen Zeitspanne naturgemäß eine ganze Serie von Namen eigentlich genannt werden müssen. Wir haben in all diesen Jahren eine vorzügliche Zusammenarbeit im Vorstand gehabt, zwischen den Kreisverbänden und mit den Vereinigungen. Ich schließe in diesen Dank auch ausdrücklich die Kreisgeschäftsführer ein, die sich mit Erfolg darum bemüht haben, unsere eigenen Vereinbarungen, Überlegungen und Absichten auch gemeinsam in den Verbänden realisieren zu helfen. Eines unserer Erfolgsgeheimnisse sind sicher gewesen, dass wir in der Lage sind, auch da, wo es gelegentlich nicht von vornherein identische Auffassungen und Interessen gab, die notfalls mit Mehrheit getroffenen Entscheidungen anschließend gemeinsam zu vertreten. Meine dringende Empfehlung ist, dass auch das so bleibt.

Wir sind deswegen so stark gewesen im Landesverband und darüber hinaus, weil die Leute wussten, dass wir ein paar mehr Mitglieder haben als andere, aber dass dieser überschaubare statistische Vorteil vor allen Dingen mit der Aussichtslosigkeit verbunden war, zwischen uns Keile zu treiben. Und ich muss nicht erläutern, warum wir ein Interesse daran haben müssen, dass auch das so bleibt.

Meine Damen und Herren, liebe Freunde, ich verabschiede mich heute von einem Amt, aber nicht von einem Anliegen und schon gar nicht von meiner Partei, und falls ich noch gebraucht werde, helfe ich gerne weiter mit.


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